Voraussichtlich am 1. September tritt die überarbeitete VDI-Richtlinie 2700 in Kraft. Die Richtlinie definiert den Stand der Technik in puncto Ladungssicherung von Pkw und Lkw auf Straßenfahrzeugen, was nicht zuletzt bei Polizeikontrollen und Gerichtsverhandlungen von erheblicher Relevanz sein wird. Der Ladungssicherungsspezialist SpanSet, Übach-Palenberg, hat die Fachwelt zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Andrang und Informationsbedarf waren groß.
Die SpanSet-Tagung im Testing Center Aldenhoven war schnell ausgebucht. Mehr als 60 Experten folgten der Einladung zu einem Symposium mit Vorträgen und Fahrvorführungen. Hauptthema war die überarbeitete und ergänzte VDI-Richtlinie 2700 (Blatt 8 ff.), die sich mit der Ladungssicherung von Pkw und Lkw auf Straßentransportern befasst.
„VDI-Richtlinien kommen alle fünf Jahre auf den Prüfstand“, berichtete Simon Jäckel, Senior-Projektmanager im Verein Deutscher Ingenieure (VDI). „Dann gibt es drei Möglichkeiten: bestätigen, überarbeiten oder zurückziehen.“
Signifikante Überarbeitung
Als im Jahr 2017 die Revision der VDI 2700 anstand, wurde schnell klar, dass eine gründliche Aktualisierung erforderlich war. „Bei der Ladungssicherungstechnik hat sich der Stand der Technik weiterentwickelt und die Fahrzeuge auf der Ladefläche haben sich ebenfalls verändert“, so Jäckel. Man denke nur an SUV mit ihren großen Reifen oder an schwere E-Autos. „Vor diesem Hintergrund haben wir es auch mit einer signifikanten Überarbeitung zu tun. Demzufolge gab es viel Gesprächs- und Diskussionsbedarf zwischen den ehrenamtlichen Experten, die den Ausschuss bilden.“
Für die Überarbeitung der VDI 2700 wurde ein Ausschuss mit Vertretern aus Industrie, Prüfgesellschaften und Aufsichtsbehörden aufgestellt. Im konkreten Fall waren das rund 20 Personen aus den Bereichen Produktion (Aufbauten, Zurrmittel, Lkw, Pkw) und Dienstleistung (Transport, Berufsgenossenschaft, Prüfung). Zwischen allen Beteiligten – einige von ihnen sind Wettbewerber – galt es einen Konsens herzustellen. In der VDI-Sprache heißt Konsens: das Fehlen von aufrechterhaltenem Widerstand.
Als Erstes war zu klären, worauf das Gremium den Fokus richten müsse. Das Ergebnis: Man muss das Transportfahrzeug, die Ladungssicherungshilfsmittel und die zu transportierenden Fahrzeuge berücksichtigen. „Diese Bestandteile haben wir exakt beschrieben, um anschließend nachvollziehbare und umsetzbare Ladungssicherungsmethoden abzuleiten“, referierte der Ausschussvorsitzende Hans-Josef Neunfinger über die frühe Phase des Projekts.
Wie viel plastische Verformung des Fahrbahnblechs ist erlaubt?
Dann begann die Feinarbeit: Wie müssen Zurrmittel beschaffen sein, welche Vorgaben müssen Fahrbahnelemente erfüllen, wie stabil muss der Aufbau des Fahrzeugtransporters sein? „Es gab Hunderte von Versuchen mit einem herstellerneutralen Testfahrzeug“, erklärte Thorsten Ludwig, Leiter Ladungssicherung vom TÜV Süd. „Allein schon die Frage, wie viel durch Haken verursachte Verformung am Fahrbahnblech zulässig ist, hat uns mehrere Wochen beschäftigt.“
Bei der Behandlung der Fahrbahnbleche hatte der Fachausschuss mit einer bemerkenswerten Crux zu kämpfen, wie Ludwig den Tagungsteilnehmern in seinem Vortrag erläuterte: „Wenn man Kraft in ein Fahrbahnblech einbringt, dann verformt es sich. Ohne Verformung geht es definitiv nicht.“
Es stellte sich also die Frage: Wie viel Deformation ist erlaubt? Die Antwort liefert nach etlichen Versuchen die VDI-Richtlinie: Maximal drei Millimeter plastische Verformungen im Bereich der Krafteinleitung sind „Stand der Technik“ und somit zulässig, sofern die Verformungen die Funktion des Fahrbahnblechs nicht beeinträchtigen.
In puncto Radvorleger schreibt die aktualisierte Fassung der Richtline vor, dass ihre Höhe beim Pkw-Transport mindestens ein Sechstel des Reifendurchmessers betragen muss, bei kleinen Reifen wenigstens 120 mm. Des Weiteren definiert die Richtlinie als Blockierkraft in horizontaler Richtung mindestens 500 daN.
Wie akribisch die Ausschussarbeit war, belegt eine Randbemerkung von Neunfinger: „Um die Reibungskräfte zwischen Fahrbahnblech und Reifen festzulegen, haben wir einen neuen Wert ermittelt und für ihn ein neues Wort erfunden: Gleitreibwiderstandsbeiwert.“ Er müsse mindestens 0,4 betragen.
VDI als Wortschöpfer: Gleitreibwiderstandsbeiwert
Richtlinie gilt sofort ab Veröffentlichung
Dass die nun bald veröffentlichte VDI 2700 (Blatt 8 ff.) kein theoretisches und detailverliebtes Resultat der Ausschussarbeit ist, betonte Ludwig. Er wies darauf hin, dass sie Einfluss auf den Verladealltag nehmen wird. „Ab ihrer Veröffentlichung gilt die Richtlinie für alle Fahrzeuge, die auf deutschen Straßen unterwegs sind, unabhängig davon, wie alt sie sind.“ Ob es sich bei dem Transportgut um gewöhnliche Pkw und Lkw handelt oder um Oldtimer, Wohnwagen und Wohnmobile, sei unerheblich. Wer ein Fahrzeug privat befördert, habe sich ebenfalls an die VDI 2700 zu halten.
Warnung vor dem bösen Erwachen
Eine Warnung richtete der TÜV-Mann an die Praktiker: „Spediteure und Frachtführer sollten sich nicht darauf verlassen, dass ihre Auftraggeber die Fahrzeuge auch dann beladen, wenn sie die Konformität ihres Equipments gemäß VDI nicht nachweisen können. So nach dem Motto: Sie brauchen uns ja, damit jemand ihre Autos und Lkw transportiert.“
Denn die Rechtsprechung ist eindeutig: Der Verlader sitzt mit im Boot. Bei einem Verstoß drohen ihm die gleichen Konsequenzen wie dem Fahrer. Daher wagte Ludwig eine Prognose, die bei vielen Zuhörern deutliches Kopfnicken auslöste: „Bei den OEM werden Sie keinen Logistikverantwortlichen finden, der freiwillig Punkte auf seinem persönlichen Flensburg-Konto akzeptiert, nur weil er einen Transporter mit unzureichender Sicherung vom Hof gelassen hat.“
Erfüllt mein Equipment die VDI-Richtlinie?
Was man nach Einschätzung von Ludwig aber nicht machen sollte: „Jetzt wie wild Haken oder Zurrgurte kaufen.“ Erst einmal sollte sich der Fahrzeugbesitzer vergewissern, ob sein bisher benutztes Equipment richtlinienkonform ist. Vielfach dürfte das der Fall sein, denn die Richtlinie spiegelt den Stand der Technik wider. Das heißt, die Technik ist vorhanden. Ob das für den konkreten Einzelfall gilt, steht auf einem anderen Blatt.
Druckfreigabe am Tag des SpanSet-Symposiums
„Eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung habe ich die Druckfreigabe für den Weißdruck erteilt“, sagte Neunfinger. Das war am 4. Juni. Der Weißdruck ist die endgültige Fassung. Wenn nichts Unerwartetes dazwischenkommt, wird die Richtlinie zum 1. September veröffentlicht. Ab dann gilt sie – und zwar ohne Übergangsfrist.
„Wir empfehlen den Fahrzeughaltern, die Hersteller ihrer Lkw beziehungsweise der Aufbauten und des eingesetzten Equipments zu kontaktieren“, gibt Ludwig den Teilnehmern der Veranstaltung mit auf den Weg. „Erkundigen Sie sich, ob Fahrzeug und Material die Richtlinie erfüllen. Vielfach werden die Hersteller eine entsprechende Bestätigung vorlegen. Aber es kann passieren, dass es den Hersteller nicht mehr gibt oder dass das betreffende Fahrzeug sehr alt ist und der Hersteller keine Zertifizierung vornehmen lässt. Dann empfehle ich den Haltern, den TÜV Süd einzuschalten. Wir helfen.“
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Text/Fotos: SpanSet, WB, f+h